Sonntag, 22. Februar 2015

Sonntag,

22. Februar 2015

[lied des tages: 'i'm gonna be (500 miles)' von the proclaimers]




Hey!

Schon einmal im Voraus: Ich glaube, dieser Beitrag wird sehr lang. Denn ich möchte einerseits über die letzten Ereignisse und meine Reisen sprechen, andererseits aber auch über Themen, die ich bisher gemieden habe und die mir sehr wichtig sind. Ich würde mich freuen, wenn du diesen eher theoretischen Teil liest und nachher darüber nachdenkst. Es wird das einzige Mal sein, dass ich all das anspreche, denn sonst würde ich mich a) wiederholen und b) dadurch vielleicht mein Leben hier in ein Licht rücken, das ich für unangemessen halte.
Nach Teil 1 gibt es dann aber zur „Erholung“ einfachere Kost. Ich hatte nämlich eine echt schöne Zeit in Johannesburg und war sogar ein bisschen auf Safari während des Seminars in Pretoria.


Teil 1
Die gemiedenen Themen: 
Klischeedenken, Armut, Reichtum, Entwicklungsarbeit, Wahrnehmung der Hautfarbe

Warum habe ich eigentlich bisher darüber nicht gesprochen?
Das ist ganz einfach: Es ist verdammt schwierig. Man muss eine Balance finden zwischen transparenter Berichterstattung und der eigenen Meinung, die aber weder parteiisch, noch allzu urteilend sein darf. Ich arbeite mit dem Deutschen Roten Kreuz, das unter anderem für Unabhängigkeit steht, weshalb ich mich nicht zu der politischen Situation hier äußern werde und versuche, mein Leben an der Ostküste möglichst neutral zu beschreiben. Ich und viele andere Freiwillige tragen die Verantwortung der Vermittlung. Da ihr als Leser nicht selbst vor Ort seid, könnt ihr euch nur durch das ein Bild machen, was ich euch gebe (deswegen ist die beste Möglichkeit zur Meinungsbildung immer noch das direkte Erleben).
Ich fange einfach mal mit einer kleinen Geschichte an.

KLISCHEEDENKEN

Als mein Freiwilligendienst endlich feststand, erzählte ich natürlich allen Freunden und Familienmitgliedern davon. Die Reaktionen waren häufig ähnlich:
Oh, Afrika, ist das denn nicht gefährlich?“
Ich finde das wirklich mutig. Ich meine, das Leben dort ist doch ganz einfach und es ist bestimmt nicht leicht, sich daran zu gewöhnen.“
Und passt du auch schön wegen Ebola auf?“
Malaria, um Gottes Willen! Hast du dich schon geimpft?“
Was für eine Sprache spricht man denn da? Afrikanisch?“
Dazu hätte ich jetzt einige Antworten parat. Klar war auch ich am Anfang naiv und vom typischen Bild von Afrika geprägt. Vielleicht war es nicht so heftig, wie es oben dargestellt ist, aber ich habe definitiv anders gedacht, als ich es nun tue.
Doch wenn ich jetzt auf die Kommentare antworten sollte, würde ich sagen:
Hier in Südafrika gibt es kein Ebola. Ich mache mir da eher Sorgen um meine Familie in Deutschland, denn dort reisen viel mehr Menschen ein und aus und könnten die Krankheit mitbringen. In der ländlichen Gegend sind wir total abgeschieden und dadurch auch gewissermaßen geschützt.“
Gegen Malaria kann man sich nicht impfen, aber das spielt keine Rolle, denn auch Malaria gibt es in Südafrika nicht. Und von Malaria muss man auch nicht zwangsläufig sterben. Ich kenne Freiwillige, die hatten Malaria und sind jetzt putzmunter.“
In Südafrika gibt es Armut und Reichtum, genauso wie in Deutschland.“
Es werden in Afrika mehr Sprachen gesprochen, als ich zählen kann.“
Wenn die Menschen außerhalb von Afrika das Wort Afrika hören, denken viele sofort an weite Steppen, Sonnenuntergänge, Löwen, Buschmänner, magere Kinder mit großen Augen, Krankheiten und alte Traditionen. Doch das sind Klischees. Afrika ist kein Land, sondern ein von Unterschieden durchsetzter Kontinent. Das ist in etwa so, als würden wir Europa über einen Kamm scheren.
Oh, Europa, ist es denn da nicht eisig kalt?“
Ich finde das wirklich mutig. Das Leben dort ist doch total luxuriös und es ist bestimmt nicht leicht, sich daran zu gewöhnen.“
Und passt du auch schön wegen des Geldregens auf?“
Riesige Einkaufsmeilen, um Gottes Willen! Hast du schon richtig viel eingekauft?“
Was für eine Sprache spricht man denn da? Europäisch?“
Ich lebe in Südafrika. Nicht im ganzen Afrika. Nicht in Tansania, nicht in Somalia und auch nicht in Ghana. Nein, in Südafrika.
Und ich lebe in Deutschland. Nicht im ganzen Europa. Nicht in Italien, nicht in Holland und auch nicht in Frankreich. Nein, in Deutschland. Wenn jemand etwas über mein Heimatland erfahren möchte, fragt er ja auch nicht: „Und, wie ist es so in Europa?“ Doch andersherum höre ich oft: „Und, wie ist es so in Afrika?“

Witzigerweise geht es vielen Menschen hier auch so. Sie sehen Europa als eine Region an, in der es keine Armut gibt, dafür aber Zukunftschancen in Hülle und Fülle. Als ich einer Arbeitskollegin einmal erzählte, dass in Köln viele Menschen auf der Straße leben müssen, weil sie kein Dach über dem Kopf haben, konnte sie es nicht fassen. Die Begriffe „weiß“ und „arm“ hat sie nur schwer miteinander verknüpfen können. Das liegt daran, dass für die Leute „weiß“ und „reich“ untrennbar miteinander verwachsen sind. Bist du weiß, bist du reich.
Und ja, ich bin reich. Ich kann mir Luxusprodukte kaufen und dieses soziale Jahr machen. Wie reich ich eigentlich bin, ist mir hier ganz besonders bewusst geworden. Es tut weh, weil es so unfassbar ungerecht ist, aber es ist auch zugegebenermaßen ein gutes Gefühl, versichert zu sein, ins Krankenhaus gehen zu können, um sich behandeln zu lassen, genug Essen zu haben und nicht darüber nachdenken zu müssen, wie man den nächsten Tag überstehen soll. Zum Glück habe ich hier noch keine verhungernden Menschen gesehen, aber es ist offensichtlich, dass die Leute nicht genug haben.

Natürlich erweisen sich ein paar der Klischees als wahr. Ich könnte euch Bilder von Frauen zeigen, die ihre Wassereimer und das Holz auf dem Kopf durch das Dorf tragen, oder Bilder von verfallenen Wellblechhütten und ich habe auch schon grandiose Fotos von Sonnenuntergängen hochgeladen, keine Frage. Leicht wäre es auch, das Klischee „alte Traditionen“ zu bestätigen: Da ich mit den Xhosa-Menschen zusammenlebe, bekomme ich viel von ihrer Kultur mit. Oder ich mache beim Trend „Weiße(r) mit schwarzen Kindern-Selfie“ mit und zeige, wie toll ich doch mit den armen Kindern auskomme. Es hebt mich als („helfende, „gebende“, „rettende“) Person hervor, hinterlässt die Kinder aber namenlos. Ich schmücke mich mit ihnen. Mit Kindern, die sich nicht dagegen wehren können, weil sie wahrscheinlich nicht einmal wissen, was das Internet überhaupt ist. (Stellt euch mal vor, jemand lädt ein Foto mit euch als Profilbild hoch, weil ihr weiß seid und als „reich“ geltet, nur damit dieser Jemand Anerkennung erntet, weil er mit euch befreundet ist.)
Bestätigte Klischees gibt es genug. Und über bestätigte Klischees vergisst man leicht, dass es hier auch schon viele Wasseranschlüsse gibt, dass viele Hütten hübsch angemalt und gemütlich sind, dass es auch oft regnerisch und bewölkt ist, dass die Menschen im Alltag mit Jeans und T-Shirt rumlaufen und am besten noch Musik mit ihrem Handy hören. Man übersieht den westlichen Einfluss, der bis hier hin sehr stark zu bemerken ist und stellt die Leute leicht als hilfsbedürftig und „unterenwickelt“ (aus unseren Augen) dar.
Es ist – wortwörtlich – nicht so schwarzweiß, wie es von den Medien vermittelt wird.

Deswegen spreche ich jetzt ein einziges Mal ausführlich über die Zustände im Dorf, in dem ich lebe und lasse das Thema dann ruhen. Denn eigentlich ist die Armut hier nicht wichtig. Klar spielt sie eine Rolle und ist auch einer der Gründe, weshalb ich überhaupt erst herkam. Aber wenn ich mir die Menschen ansehe, sehe ich nicht deren Armut. Ich sehe ihre Persönlichkeiten, ihre Stärke, ihre Fähigkeiten, ihren Humor und vergesse die Umstände, unter denen sie leben. Und so sollte es auch sein. Wir wollen auch nicht durch unsere Reichheit definiert werden, oder? (Erinnert euch an das Profilbild-Beispiel).
Und trotzdem ist die Armut relevant und ich möchte sie nicht tabuisieren. Deshalb werde ich jetzt über sie schreiben.

WIE UND WO BEGEGNET MIR ARMUT?

Inzwischen bemerke ich sie nur noch hin und wieder, weil nach sechs Monaten das Leben hier normal geworden ist. Aber wenn ich wieder darauf achte, ist sie praktisch überall.
Fahren wir mit dem Auto durch die Dörfer, schreien die Kinder „sweeeets“ oder halten die Hand auf, um stumm nach Geld zu fragen. Es ist sogar schon vorgekommen, dass unser Auto angehalten wurde, weil sich die Jugendlichen mitten in den Weg stellten, um denn zu den Türen zu stürmen und lautstark nach Geld zu fragen. Die Gesichter waren verzerrt vor Wut, als wir nicht reagierten wie erwünscht. Ich habe mich da sehr erschrocken.
Die Kinder, mit denen ich arbeite, tragen löchrige, nicht ausreichende Kleidung und sind oft hungrig. Sie leiden unter Mangelernährung – meist essen sie nur Reis, vielleicht mal Kartoffeln und ein bisschen Pap. Darin findet der Körper natürlich nur wenig Vitamine, die den Körper stärken könnten und deshalb sind sie anfällig für Krankheiten, die sie auch so schnell nicht mehr loswerden. Zum Glück sind sie nicht die unterernährten Kinder mit den Hungerbäuchen und hervorstehenden Rippen aus dem Fernsehen, aber ausgewogen ernähren können sie sich auch nicht.
Leider gehen die Menschen hier nicht so schnell ins Krankenhaus, was das krasse Gegenteil zum sicherheitsfixierten und krankheitsphobischen Deutschland ist. Die meisten Kinder haben überall auf ihrer Haut Eiterbeulen und aufgekratzte, offene Wunden, die sich natürlich leicht infizieren. Ein Junge hat seit sicher fünf Monaten eine Mittelohrentzündung und die Entzündung hat sich inzwischen auf seinen Körper ausgebreitet – ein Zeigefinger ist fast so rund wie ein Ball, weil er so angeschwollen ist. Ein Arzt von hier meint, dass er das unbedingt im Krankenhaus behandeln lassen muss, weil es sonst die Organe angreift, aber die Mutter hält das nicht für nötig – und das Geld ist selbstverständlich auch nicht da.
Die Wohnsituationen sind zudem überwiegend nicht gut. Ich denke, dass ich sie für schlimmer halte als die Menschen selbst, aber es ist echt nicht schön, an verfallenen Hütten vorbeizugehen, die nicht einmal mehr Fenster besitzen und sehr undicht sind mit dem Wissen, dass dort ein Kind aus der Preschool wohnt.
Ich weiß nicht, ob die Quote in Deutschland ähnlich ist, aber ich habe jetzt schon von einigen Verlusten in den Familien gehört. Meistens ist der Grund des Todes nicht bekannt, aber es sind wahrscheinlich Aids, Tuberkulose und andere Krankheiten, die sich durch fehlende Behandlung verschlimmert haben.
Auf den Straßen laufen viele Männer herum, weil sie keine Arbeit und daher nichts zu tun haben. (Die Frauen schmeißen den Haushalt, deswegen sieht man sie selten untätig herumstehen). Die Kinder dagegen basteln viele kreative Spielzeuge aus Milchtüten und Drähten und spielen in den Ruinen von alten Häusern.
Aus Frust und fehlenden Zukunftsvisionen trinken die Männer viel. Einige sind sogar schon mittags betrunken, wenn ich die Schotterstraße entlanggehe.
Als ich in Johannesburg war, war klar, dass ich nachts nicht auf die Straße kann, weil dort viel zu viele Überfälle und Vergewaltigungen geschehen. Das ist natürlich auch ein Resultat aus der Armut, sei es Bildungsarmut, Arbeitsarmut oder emotionale Armut. Es ist auf jeden Fall nicht genügend Geld vorhanden und die Menschen sind oft abgestumpft und sehr gewaltbereit.
Dasselbe passiert hier Zuhause auch, obwohl die Region sicher für uns Freiwillige ist. Deswegen vergesse ich oft, dass auch in unserem Dorf Frauen vergewaltigt werden und war extrem schockiert, als ich während des Seminars in Pretoria erfuhr, dass es in der Nähe unseres Dorfes (oder am Rande vom Dorf, die Infos sind ein bisschen schwammig) einen Überfall auf den Busfahrer gegeben hat. Es fährt hier zwei Mal pro Tag ein Bus in Schrittgeschwindigkeit vorbei mit immer demselben Busfahrer. Doch eines Tages kam ein Typ, schoss ihm ins Bein und wollte die Einnahmen klauen. Das Dorf hat ihn erwischt und auf seine Art und Weise bestraft: Die Männer haben ihn totgeprügelt. Hier wird keine Polizei geholt, denn die Polizei „hilft ja sowieso nicht“, das Dorf selbst ist die Polizei – und zwar eine sehr brutale Polizei.

Zu alldem muss man aber auch sagen, dass der westliche Einfluss eine Lücke geschaffen hat, die vorher nicht da war. Ohne ihn gäbe es diese Armut an der Ostküste gar nicht erst. Früher haben die Menschen ihr Essen selbst angebaut und im Einklang mit ihrer Umgebung gelebt. Dann kamen Ausländer, brachten ihr Ökosystem aus dem Gleichgewicht und sagten: „Hey, ihr braucht das und das. Guckt mal, wir helfen euch dabei.“
Jetzt baut kaum mehr jemand sein Essen an und alle sind abhängig vom Geld, um überleben zu können. Sie müssen extrem weit laufen oder mit dem Taxi fahren, um in Shops zu gelangen, was ihnen zusätzlich schadet.
Im Glauben, etwas zu verbessern, ist also etwas verschlechtert worden.
Woher wissen wir Freiwilligen eigentlich, dass wir nicht schon wieder denselben Fehler machen?
Damit wären wir beim nächsten Thema. Entwicklungsarbeit.

WAS IST ENTWICKLUNGSARBEIT?

Ich würde mir wünschen, dass ihr erst selbst über diese Frage nachdenkt, bevor ihr weiterlest. Was stellt ihr euch darunter vor?
Viele Länder in Afrika werden als „Entwicklungsländer“ bezeichnet. Doch wenn man einmal genauer darüber nachdenkt, ist das ziemlich arrogant. Woher wollen wir wissen, dass wir die weiter entwickelten Länder sind und die anderen Länder in Afrika sich noch entwickeln müssen? Nach welchen Kriterien stufen wir Länder als Entwicklungsländer ein? Und wer behauptet, dass diese Kriterien überhaupt zählen?
Die Menschen aus reichen Ländern werden häufig, was ich schon öfters angesprochen habe, als Helden dargestellt. Als diejenigen, denen man dankbar sein muss. Als diejenigen, die alles besser wissen und die die armen Menschen bilden müssen.
Doch welche Bildung ist besser? Wie man ohne Strom auskommt, sich sein Zuhause baut und sein Essen selbst pflanzt oder wie der Dreisatz funktioniert? Ich persönlich denke, dass beide Seiten Bildung zu lehren haben, die es wert ist, sie sich zu verinnerlichen. Doch niemals würde ich davon ausgehen, dass wir von der Entwicklung her über anderen Ländern stehen. Denn unsere sogenannte „Entwicklung“ ist oft auch ein Rückschritt: Durch die Vereinfachung unseres Lebens durch Dinge wie Technologie, Wasser- und Stromsysteme und Verkehrsmittel werden wir abhängig und hilflos wie ein gerade geborenes Kind, dass auf die Eltern angewiesen ist. Wüsstest du, wie du Feuer machst, um dein Essen zu kochen? Wüsstest du, wie du an Wasser kommen könntest, ohne den Wasserhahn aufzudrehen? Wüsstest du, wie du ohne den geringsten Strom dein Leben managen würdest? Und sei ehrlich. Vielleicht hast du von dem ein oder anderen schon einmal gehört, aber die wahren Experten auf diesem Gebiet sind Menschen, die ohne unsere „Entwicklung“ aufgewachsen sind. Und sie führen ein glückliches Leben.
Ich habe das Gefühl, dass Menschen mit weniger Besitztümern und weniger Smartphones, auf die sie starren können, die Kunst der Freude besser drauf haben als reiche Menschen. Es ist auch ein Klischee, das aber zu stimmen scheint. Auf dem Seminar habe ich noch anderen Freiwilligen gesprochen, die dieselben Erfahrungen gemacht haben: Ärmere Menschen sind oft so viel positiver als wir. Selbst wenn sie krank sind, viele Freunde und Familienmitglieder verloren und keine Zukunft haben, lächeln sie jeden Tag und sind freundlich zu dir.
Selbstverständlich gilt das nicht für alle Menschen. Ich habe das nur bei der Mehrzahl so erlebt. Und aus diesem Blickwinkel betrachte ich die Menschen hier auf jeden Fall als die reicheren Menschen, die uns sehr viel beibringen können.

Die Gefahr bei der sogenannten „Entwicklungsarbeit“ ist auch, dass man Menschen einredet, dass sie etwas brauchen und somit ein Problem kreiert. Vielleicht sollte man lieber warten und zuhören und schauen, ob jemand auf einen zukommt und sagt: „Hey, ich habe ein Problem. Kannst du mir helfen?“
Es ist klar, dass solche Wünsche wie „Ich will einen Fernseher“ nicht gelten. Sie sind mal wieder nur das Ergebnis unserer falschen „Entwicklung“svorstellung, die wir mitgebracht haben. Zudem sollte man, wie ich finde, keine sofortigen Lösungen offenbaren, sondern mit den Menschen zusammen darüber nachdenken, wie man das Problem angehen kann. Sonst erwarten sie irgendwann einfach nur noch, dass jemand kommt und alles richtet und denken nicht mehr selbst konstruktiv nach.
Entwicklungsarbeit“ ist deswegen auch schwierig, weil die Hilfe, die zuerst sinnvoll erscheint, es vielleicht gar nicht ist. Siehst du ein hungriges Kind, möchtest du ihm gerne etwas zu Essen geben. Doch dann kommt es jeden Tag, und das Problem ist noch immer nicht gelöst.
Man muss tiefer graben und sich fragen: warum? Warum hat das Kind Hunger? Das kann viele Gründe haben. Entweder es ist ein Waise, oder die Eltern sind krank/nicht ausgebildet/wohnen zu weit weg, deswegen können sie nicht arbeiten gehen, oder ein Elternteil nimmt das ganze Essen an sich und gibt nichts ab, oder, oder, oder. Und wenn man die nächste Antwort hat, verlangt sie nach einem weiteren Warum. Das geht so lange weiter, bis man alle Probleme aufgerollt hat, sie offen daliegen und man sie an den Wurzeln packen kann, sodass sie eine Kettenreaktion auslösen und vieles gleichzeitig verbessern.
Die Arbeit gegen Armut/Krankheit/eingefahrene Strukturen/ect. ist immer komplex und niemals so einfach, wie sie in den Medien dargestellt wird. Als Beispiel eine Plakatwerbung für ein Spendenprojekt: Da ist eine weiße Hand zu sehen, die einem ausgehungerten, schwarzen Kind Brot reicht.
Das löst das Problem nicht. Es ist nicht so einfach. Wenn es so einfach wäre, dann gäbe es Hunger, Gewalt und Krankheiten ganz sicher nicht mehr.
Komplexe Probleme verlangen komplexe Lösungen.

WIE FÜHLE ICH MICH ALS HELLHÄUTIGE FRAU IN SÜDAFRIKA?

Es gibt negative und „positive“ Erfahrungen, die ich mit meiner Hautfarbe gemacht habe. Und dann sind da noch die Erfahrungen, die ich nicht so recht bewerten kann.
Zu den negativen Erfahrungen gehören Vorurteile/Stereotype, grobe Anmachsprüche, falsche Freundlichkeit (wahrscheinlich besser als echter Hass, der ja vielen Ausländern/Flüchtlingen in Deutschland begegnet), aufdringliches Betteln und absichtlich erhöhte Preise.
Zu den „positiven“ Erfahrungen, die aber gleichzeitig eigentlich negativ sind, sind Bevorzugung der Weißen in Schlangen, in der Gastfreundschaft und in sonstigen Alltagssituationen (von dunkelhäutigen Menschen aus). Ich weiß gar nicht so recht, warum. Ich denke, in vielen Regionen gelten Weiße einfach als exotische Andere, denen man mit großem Respekt entgegentritt. Ich weiß nie, wie ich darauf reagieren soll. Mit Dankbarkeit, die sich absolut falsch anfühlt, oder mit Traurigkeit, oder sogar Wut. Es zeigt eben, dass der Gedanke, dass alle gleich sind, noch immer nicht richtig eingelebt ist und dass die Apartheid tiefe Spuren hinterlassen hat, die nicht einfach so verschwinden.
Die letzten Erfahrungen, die mich einfach nur ein bisschen befremden, an die ich mich aber inzwischen gewöhnt habe, sind die Verhaltensweisen der Kinder gegenüber uns. Erst einmal verwechseln siebzig Prozent der Kinder Pia und mich immer noch, obwohl wir sie schon schon seit einem halben Jahr fast täglich sehen. Dann wird ohne Ende mit unseren Haaren gespielt (was aber angenehm ist :D) und hin und wieder streichen sie über unsere Haut, als wären wir irgendein Denkmal. Diese Bewunderung ist natürlich süß, aber gleichzeitig auch komisch. Ich bin ständig hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, als Person und nicht als Zootier wahrgenommen zu werden und dem Verständnis für die Situation der Kinder. Es ist ja klar, dass Andersheit faszinierend ist.

Das war es auch „schon“ mit Teil 1. Ich hoffe, ich habe dich zum Nachdenken angeregt. Es war wirklich schwer, diese Gedanken in Worte zu fassen und ich möchte noch einmal betonen, dass das alles meine Sicht der Dinge ist und nicht als universal geltend aufzufassen ist.

Kommentare sind sehr willkommen :]




Teil 2
Meine Zeit in Johannesburg & Pretoria



Wie ich schon angekündigt habe, bin ich für eine kurze Zeit nach Johannesburg gereist, um dann weiter zu meinem Seminar zu fahren. Es war ziemlich strange, wieder in einer Großstadt zu sein. Ich konnte einfach nicht aufhören, die hohen Gebäude anzustarren und mich über die Auswahl an Produkten zu wundern. Und dann der Verkehr! So viele Autos! So viele Busse! So viele Taxis!

Auf der Hinfahrt war es sehr nebelig
Und doch ist Johannesburg nicht zu vergleichen mit Köln. Es ist irgendwie anders. Die Menschen sind anders, das Verkehrssystem ist anders, die Häuser sehen anders aus und natürlich auch die Läden. Als wir die Einkaufsmeilen besucht haben (Jesus, gab's da viel zu kaufen!), sind uns überall extrem aufgestylte Menschen begegnet. Das erlebe ich natürlich nicht an der Küste, aber das habe ich auch vorher in Köln nicht gesehen. Außerdem betteln die Menschen fast an allen Ampeln, wenn die Fahrer ihr Auto anhalten müssen.
Pia und ich durften im Apartment eines sehr netten Bekannten wohnen, der aber leider nicht da war, weil er arbeiten musste. Es liegt in Illovo, einem Viertel in Johannesburg und ist ziemlich zentral. Am ersten Abend sind wir in einem Restaurant essen gegangen – Himmel, war das komisch! Es gab Servierten, eine große Auswahl an super leckeren Gerichten und in meinem Salat waren Avocado und Mozarella. <3 Wir mussten weder kochen, noch nachher abwaschen. Seltsam. :D
Dann hatten wir einen funktionierenden Kühlschrank! Und einen Ofen! Und heiße Duschen! (Ich habe trotzdem aus Gewohnheit kalt geduscht xD). Wenn wir auf Toilette mussten, mussten wir nicht erst aus der Hütte raus in die kalte (und vielleicht regnerische Nacht) und wenn wir kochen wollten, konnten wir danach das Essen einfach in ein richtiges Wohnzimmer tragen. Es war traumhaft.
Am letzten Tag in Johannesburg haben wir auch das Apartdheid-Musuem besucht. Das kann ich nur empfehlen. Es ist zwar sehr umfassend und man sollte mindestens 4 Stunden Zeit einplanen, aber es hat sich definitiv gelohnt.
Auf dem Hinweg nach Johannesburg sind wir übrigens mit einem Bus gefahren, und das 14 Stunden lang. Es waren 12 Stunden geplant, aber wir haben ein Pferd umgefahren, was die Windschutzscheibe zerstörte und weswegen wir zwei Stunden auf einen neuen Bus warten mussten. Ich habe Fotos von der Scheibe gemacht, sie sieht schon episch aus.
Aber sieh selbst:



Unser geniales Essen!
Eine Drachenfrucht. In Wirklichkeit war sie viel pinker!
Die epische Windschutzscheibe nach dem Pferdvorfall.
Ich finde, das Bild sieht irgendwie mystisch aus.
Die Tankstelle spiegelt sich im zerbrochenen Glas, uuuh. :]
Morgens auf dem Weg nach Johannesburg.
Senton Mall

Am Eingang zum Apartheid-Museum bekommt man eine Karte, die einen als
entweder weiß oder nicht-weiß einstuft. Dann muss man durch den entsprechenden
Eingang gehen. Ich war "nie-blankes" (Afrikaans), wie ihr sehen könnt.

Ein Schild aus der Apartheid, was ich für sehr aussagekräftig halte.
Nach der kurzen Zeit in Johannesburg ging es dann noch nach Pretoria. Wir haben dafür den "Gautrain" benutzt, der noch ziemlich neu ist und extrem sicher & sauber. Da ist die deutsche U-Bahn das krasse Gegenteil. Überall latschen Security-Leute herum, man braucht erst einmal eine Karte, um in den Bereich hineinzugelangen und als Pia beim Warten auf die Bahn einen Apfel essen wollte, wurde sie darauf hingewiesen, dass das nicht erlaubt sei.


Von "Rosebank" aus sind wir losgefahren.

Das Seminar war echt nett. Freundliche Menschen und ein interessantes Programm, allerdings war es eine katholische Organisation, mit der wir zusammengesteckt wurden, weil wir die einzigen Freiwilligen des DRKs in Südafrika sind und da ich absolut nicht gläubig bin, waren die Gebete, Gottesdienste und Segen ein bisschen befremdlich für mich. Nichtsdestotrotz war es eine schöne Zeit. Ich fand vor allem den Besuch in einem riesigen Tierpark spannend. Ich habe die Tiere teilweise hautnah erlebt - Zebras, Antilopen mitten auf der Straße, Nashörner, die langsam und groß hinter unserem Auto hertrotten, Hippos im Wasser, bunte Vögel, Schildkröten, Giraffen (leider in weiter Ferne), Büffel und Warzenschweine (die dazu anregen, hakuuuuna matataaaa zu singen). Am Ende haben wir sogar drei Elefanten beim Baden zugesehen.
Unglücklicherweise habe ich das Übertragungskabel für meine Kamera in Pretoria vergessen, weshalb ich euch nicht mit Fotos von dort versorgen kann - hoffentlich vorerst. Ich muss natürlich irgendeine Lösung finden.
Bis dahin aber erst einmal bye bye! Meine Eltern kommen mich jetzt besuchen und dann geht's auf nach Capetown! Wenn ich das nächste Mal schreibe, habe ich sicher einiges an Gesprächsstoff gesammelt.

Alles Liebe!
Dein Julchen