Sonntag,
♦ 22. Februar 2015 ♦
[lied
des tages: 'i'm gonna be (500 miles)' von the proclaimers]
Hey!
Schon
einmal im Voraus: Ich glaube, dieser Beitrag wird sehr lang. Denn ich
möchte einerseits über die letzten Ereignisse und meine Reisen
sprechen, andererseits aber auch über Themen, die ich bisher
gemieden habe und die mir sehr wichtig sind. Ich würde mich freuen,
wenn du diesen eher theoretischen Teil liest und nachher darüber
nachdenkst. Es wird das einzige Mal sein, dass ich all das anspreche,
denn sonst würde ich mich a) wiederholen und b) dadurch vielleicht
mein Leben hier in ein Licht rücken, das ich für unangemessen
halte.
Nach
Teil 1 gibt es dann aber zur „Erholung“ einfachere Kost. Ich
hatte nämlich eine echt schöne Zeit in Johannesburg und war sogar ein bisschen auf Safari während des Seminars in Pretoria.
Teil
1
Die gemiedenen Themen:
Die gemiedenen Themen:
Klischeedenken, Armut, Reichtum, Entwicklungsarbeit, Wahrnehmung der
Hautfarbe
Warum habe ich
eigentlich bisher darüber nicht gesprochen?
Das ist ganz
einfach: Es ist verdammt schwierig. Man muss eine Balance finden
zwischen transparenter Berichterstattung und der eigenen Meinung, die
aber weder parteiisch, noch allzu urteilend sein darf. Ich arbeite
mit dem Deutschen Roten Kreuz, das unter anderem für Unabhängigkeit
steht, weshalb ich mich nicht zu der politischen Situation hier
äußern werde und versuche, mein Leben an der Ostküste möglichst
neutral zu beschreiben. Ich und viele andere Freiwillige tragen die
Verantwortung der Vermittlung. Da ihr als Leser nicht selbst vor Ort
seid, könnt ihr euch nur durch das ein Bild machen, was ich euch
gebe (deswegen ist die beste Möglichkeit zur Meinungsbildung immer
noch das direkte Erleben).
Ich fange einfach
mal mit einer kleinen Geschichte an.
KLISCHEEDENKEN
Als mein
Freiwilligendienst endlich feststand, erzählte ich natürlich allen
Freunden und Familienmitgliedern davon. Die Reaktionen waren häufig
ähnlich:
„Oh, Afrika, ist
das denn nicht gefährlich?“
„Ich finde das
wirklich mutig. Ich meine, das Leben dort ist doch ganz einfach und
es ist bestimmt nicht leicht, sich daran zu gewöhnen.“
„Und passt du auch
schön wegen Ebola auf?“
„Malaria, um
Gottes Willen! Hast du dich schon geimpft?“
„Was für eine
Sprache spricht man denn da? Afrikanisch?“
Dazu hätte ich
jetzt einige Antworten parat. Klar war auch ich am Anfang naiv und
vom typischen Bild von Afrika geprägt. Vielleicht war es nicht so
heftig, wie es oben dargestellt ist, aber ich habe definitiv anders
gedacht, als ich es nun tue.
Doch wenn ich jetzt
auf die Kommentare antworten sollte, würde ich sagen:
„Hier in Südafrika
gibt es kein Ebola. Ich mache mir da eher Sorgen um meine Familie in
Deutschland, denn dort reisen viel mehr Menschen ein und aus und
könnten die Krankheit mitbringen. In der ländlichen Gegend sind wir
total abgeschieden und dadurch auch gewissermaßen geschützt.“
„Gegen Malaria
kann man sich nicht impfen, aber das spielt keine Rolle, denn auch
Malaria gibt es in Südafrika nicht. Und von Malaria muss man auch
nicht zwangsläufig sterben. Ich kenne Freiwillige, die hatten
Malaria und sind jetzt putzmunter.“
„In Südafrika
gibt es Armut und Reichtum, genauso wie in Deutschland.“
„Es werden in
Afrika mehr Sprachen gesprochen, als ich zählen kann.“
Wenn die Menschen
außerhalb von Afrika das Wort Afrika hören, denken viele sofort an
weite Steppen, Sonnenuntergänge, Löwen, Buschmänner, magere Kinder
mit großen Augen, Krankheiten und alte Traditionen. Doch das sind
Klischees. Afrika ist kein Land, sondern ein von Unterschieden
durchsetzter Kontinent. Das ist in etwa so, als würden wir Europa
über einen Kamm scheren.
„Oh, Europa, ist
es denn da nicht eisig kalt?“
„Ich finde das
wirklich mutig. Das Leben dort ist doch total luxuriös und es ist
bestimmt nicht leicht, sich daran zu gewöhnen.“
„Und passt du auch
schön wegen des Geldregens auf?“
„Riesige
Einkaufsmeilen, um Gottes Willen! Hast du schon richtig viel
eingekauft?“
„Was für eine
Sprache spricht man denn da? Europäisch?“
Ich lebe in
Südafrika. Nicht im ganzen Afrika. Nicht in Tansania, nicht
in Somalia und auch nicht in Ghana. Nein, in Südafrika.
Und ich lebe in
Deutschland. Nicht im ganzen Europa. Nicht in Italien, nicht
in Holland und auch nicht in Frankreich. Nein, in Deutschland. Wenn
jemand etwas über mein Heimatland erfahren möchte, fragt er ja auch
nicht: „Und, wie ist es so in Europa?“ Doch andersherum höre ich
oft: „Und, wie ist es so in Afrika?“
Witzigerweise geht
es vielen Menschen hier auch so. Sie sehen Europa als eine Region an,
in der es keine Armut gibt, dafür aber Zukunftschancen in Hülle und
Fülle. Als ich einer Arbeitskollegin einmal erzählte, dass in Köln
viele Menschen auf der Straße leben müssen, weil sie kein Dach über
dem Kopf haben, konnte sie es nicht fassen. Die Begriffe „weiß“
und „arm“ hat sie nur schwer miteinander verknüpfen können. Das
liegt daran, dass für die Leute „weiß“ und „reich“
untrennbar miteinander verwachsen sind. Bist du weiß, bist du reich.
Und ja, ich bin
reich. Ich kann mir Luxusprodukte kaufen und dieses soziale Jahr
machen. Wie reich ich eigentlich bin, ist mir hier ganz besonders
bewusst geworden. Es tut weh, weil es so unfassbar ungerecht ist,
aber es ist auch zugegebenermaßen ein gutes Gefühl, versichert zu
sein, ins Krankenhaus gehen zu können, um sich behandeln zu lassen,
genug Essen zu haben und nicht darüber nachdenken zu müssen, wie
man den nächsten Tag überstehen soll. Zum Glück habe ich hier noch
keine verhungernden Menschen gesehen, aber es ist offensichtlich,
dass die Leute nicht genug haben.
Natürlich erweisen
sich ein paar der Klischees als wahr. Ich könnte euch Bilder von
Frauen zeigen, die ihre Wassereimer und das Holz auf dem Kopf durch
das Dorf tragen, oder Bilder von verfallenen Wellblechhütten und ich
habe auch schon grandiose Fotos von Sonnenuntergängen hochgeladen,
keine Frage. Leicht wäre es auch, das Klischee „alte Traditionen“
zu bestätigen: Da ich mit den Xhosa-Menschen zusammenlebe, bekomme
ich viel von ihrer Kultur mit. Oder ich mache beim Trend „Weiße(r)
mit schwarzen Kindern-Selfie“ mit und zeige, wie toll ich doch mit
den armen Kindern auskomme. Es hebt mich als („helfende, „gebende“,
„rettende“) Person hervor, hinterlässt die Kinder aber namenlos.
Ich schmücke mich mit ihnen. Mit Kindern, die sich nicht dagegen
wehren können, weil sie wahrscheinlich nicht einmal wissen, was das
Internet überhaupt ist. (Stellt euch mal vor, jemand lädt ein Foto
mit euch als Profilbild hoch, weil ihr weiß seid und als „reich“
geltet, nur damit dieser Jemand Anerkennung erntet, weil er mit euch
befreundet ist.)
Bestätigte
Klischees gibt es genug. Und über bestätigte Klischees vergisst man
leicht, dass es hier auch schon viele Wasseranschlüsse gibt, dass
viele Hütten hübsch angemalt und gemütlich sind, dass es auch oft
regnerisch und bewölkt ist, dass die Menschen im Alltag mit Jeans
und T-Shirt rumlaufen und am besten noch Musik mit ihrem Handy hören.
Man übersieht den westlichen Einfluss, der bis hier hin sehr stark
zu bemerken ist und stellt die Leute leicht als hilfsbedürftig und
„unterenwickelt“ (aus unseren Augen) dar.
Es ist –
wortwörtlich – nicht so schwarzweiß, wie es von den Medien
vermittelt wird.
Deswegen spreche ich
jetzt ein einziges Mal ausführlich über die Zustände im Dorf, in
dem ich lebe und lasse das Thema dann ruhen. Denn eigentlich ist die
Armut hier nicht wichtig. Klar spielt sie eine Rolle und ist auch
einer der Gründe, weshalb ich überhaupt erst herkam. Aber wenn ich
mir die Menschen ansehe, sehe ich nicht deren Armut. Ich sehe ihre
Persönlichkeiten, ihre Stärke, ihre Fähigkeiten, ihren Humor und
vergesse die Umstände, unter denen sie leben. Und so sollte es auch
sein. Wir wollen auch nicht durch unsere Reichheit definiert werden,
oder? (Erinnert euch an das Profilbild-Beispiel).
Und trotzdem ist die
Armut relevant und ich möchte sie nicht tabuisieren. Deshalb werde
ich jetzt über sie schreiben.
WIE UND WO BEGEGNET MIR ARMUT?
Inzwischen bemerke
ich sie nur noch hin und wieder, weil nach sechs Monaten das Leben
hier normal geworden ist. Aber wenn ich wieder darauf achte, ist sie
praktisch überall.
Fahren wir mit dem
Auto durch die Dörfer, schreien die Kinder „sweeeets“ oder
halten die Hand auf, um stumm nach Geld zu fragen. Es ist sogar schon
vorgekommen, dass unser Auto angehalten wurde, weil sich die
Jugendlichen mitten in den Weg stellten, um denn zu den Türen zu
stürmen und lautstark nach Geld zu fragen. Die Gesichter waren
verzerrt vor Wut, als wir nicht reagierten wie erwünscht. Ich habe
mich da sehr erschrocken.
Die Kinder, mit
denen ich arbeite, tragen löchrige, nicht ausreichende Kleidung und
sind oft hungrig. Sie leiden unter Mangelernährung – meist essen
sie nur Reis, vielleicht mal Kartoffeln und ein bisschen Pap. Darin
findet der Körper natürlich nur wenig Vitamine, die den Körper
stärken könnten und deshalb sind sie anfällig für Krankheiten,
die sie auch so schnell nicht mehr loswerden. Zum Glück sind sie
nicht die unterernährten Kinder mit den Hungerbäuchen und
hervorstehenden Rippen aus dem Fernsehen, aber ausgewogen ernähren
können sie sich auch nicht.
Leider gehen die
Menschen hier nicht so schnell ins Krankenhaus, was das krasse
Gegenteil zum sicherheitsfixierten und krankheitsphobischen
Deutschland ist. Die meisten Kinder haben überall auf ihrer Haut
Eiterbeulen und aufgekratzte, offene Wunden, die sich natürlich
leicht infizieren. Ein Junge hat seit sicher fünf Monaten eine
Mittelohrentzündung und die Entzündung hat sich inzwischen auf
seinen Körper ausgebreitet – ein Zeigefinger ist fast so rund wie
ein Ball, weil er so angeschwollen ist. Ein Arzt von hier meint, dass
er das unbedingt im Krankenhaus behandeln lassen muss, weil es sonst
die Organe angreift, aber die Mutter hält das nicht für nötig –
und das Geld ist selbstverständlich auch nicht da.
Die Wohnsituationen
sind zudem überwiegend nicht gut. Ich denke, dass ich sie für
schlimmer halte als die Menschen selbst, aber es ist echt nicht
schön, an verfallenen Hütten vorbeizugehen, die nicht einmal mehr
Fenster besitzen und sehr undicht sind mit dem Wissen, dass dort ein
Kind aus der Preschool wohnt.
Ich weiß nicht, ob
die Quote in Deutschland ähnlich ist, aber ich habe jetzt schon von
einigen Verlusten in den Familien gehört. Meistens ist der Grund des
Todes nicht bekannt, aber es sind wahrscheinlich Aids, Tuberkulose
und andere Krankheiten, die sich durch fehlende Behandlung
verschlimmert haben.
Auf den Straßen
laufen viele Männer herum, weil sie keine Arbeit und daher nichts zu
tun haben. (Die Frauen schmeißen den Haushalt, deswegen sieht man
sie selten untätig herumstehen). Die Kinder dagegen basteln viele
kreative Spielzeuge aus Milchtüten und Drähten und spielen in den
Ruinen von alten Häusern.
Aus Frust und
fehlenden Zukunftsvisionen trinken die Männer viel. Einige sind
sogar schon mittags betrunken, wenn ich die Schotterstraße
entlanggehe.
Als ich in
Johannesburg war, war klar, dass ich nachts nicht auf die Straße
kann, weil dort viel zu viele Überfälle und Vergewaltigungen
geschehen. Das ist natürlich auch ein Resultat aus der Armut, sei es
Bildungsarmut, Arbeitsarmut oder emotionale Armut. Es ist auf jeden
Fall nicht genügend Geld vorhanden und die Menschen sind oft
abgestumpft und sehr gewaltbereit.
Dasselbe passiert
hier Zuhause auch, obwohl die Region sicher für uns Freiwillige ist.
Deswegen vergesse ich oft, dass auch in unserem Dorf Frauen
vergewaltigt werden und war extrem schockiert, als ich während des
Seminars in Pretoria erfuhr, dass es in der Nähe unseres Dorfes
(oder am Rande vom Dorf, die Infos sind ein bisschen schwammig) einen
Überfall auf den Busfahrer gegeben hat. Es fährt hier zwei Mal pro
Tag ein Bus in Schrittgeschwindigkeit vorbei mit immer demselben
Busfahrer. Doch eines Tages kam ein Typ, schoss ihm ins Bein und
wollte die Einnahmen klauen. Das Dorf hat ihn erwischt und auf seine
Art und Weise bestraft: Die Männer haben ihn totgeprügelt. Hier
wird keine Polizei geholt, denn die Polizei „hilft ja sowieso
nicht“, das Dorf selbst ist die Polizei – und zwar eine sehr
brutale Polizei.
Zu alldem muss man
aber auch sagen, dass der westliche Einfluss eine Lücke geschaffen
hat, die vorher nicht da war. Ohne ihn gäbe es diese Armut an der
Ostküste gar nicht erst. Früher haben die Menschen ihr Essen selbst
angebaut und im Einklang mit ihrer Umgebung gelebt. Dann kamen
Ausländer, brachten ihr Ökosystem aus dem Gleichgewicht und sagten:
„Hey, ihr braucht das und das. Guckt mal, wir helfen euch dabei.“
Jetzt baut kaum mehr
jemand sein Essen an und alle sind abhängig vom Geld, um überleben
zu können. Sie müssen extrem weit laufen oder mit dem Taxi fahren,
um in Shops zu gelangen, was ihnen zusätzlich schadet.
Im Glauben, etwas zu
verbessern, ist also etwas verschlechtert worden.
Woher wissen wir
Freiwilligen eigentlich, dass wir nicht schon wieder denselben Fehler
machen?
Damit wären wir
beim nächsten Thema. Entwicklungsarbeit.
WAS IST ENTWICKLUNGSARBEIT?
Ich würde mir
wünschen, dass ihr erst selbst über diese Frage nachdenkt, bevor
ihr weiterlest. Was stellt ihr euch darunter vor?
Viele Länder in
Afrika werden als „Entwicklungsländer“ bezeichnet. Doch wenn man
einmal genauer darüber nachdenkt, ist das ziemlich arrogant. Woher
wollen wir wissen, dass wir die weiter entwickelten Länder
sind und die anderen Länder in Afrika sich noch entwickeln müssen?
Nach welchen Kriterien stufen wir Länder als Entwicklungsländer
ein? Und wer behauptet, dass diese Kriterien überhaupt zählen?
Die Menschen aus
reichen Ländern werden häufig, was ich schon öfters angesprochen
habe, als Helden dargestellt. Als diejenigen, denen man dankbar sein
muss. Als diejenigen, die alles besser wissen und die die armen
Menschen bilden müssen.
Doch welche Bildung
ist besser? Wie man ohne Strom auskommt, sich sein Zuhause baut und
sein Essen selbst pflanzt oder wie der Dreisatz funktioniert? Ich
persönlich denke, dass beide Seiten Bildung zu lehren haben, die es
wert ist, sie sich zu verinnerlichen. Doch niemals würde ich davon
ausgehen, dass wir von der Entwicklung her über anderen Ländern
stehen. Denn unsere sogenannte „Entwicklung“ ist oft auch ein
Rückschritt: Durch die Vereinfachung unseres Lebens durch Dinge wie
Technologie, Wasser- und Stromsysteme und Verkehrsmittel werden wir
abhängig und hilflos wie ein gerade geborenes Kind, dass auf die
Eltern angewiesen ist. Wüsstest du, wie du Feuer machst, um dein
Essen zu kochen? Wüsstest du, wie du an Wasser kommen könntest,
ohne den Wasserhahn aufzudrehen? Wüsstest du, wie du ohne den
geringsten Strom dein Leben managen würdest? Und sei ehrlich.
Vielleicht hast du von dem ein oder anderen schon einmal gehört,
aber die wahren Experten auf diesem Gebiet sind Menschen, die ohne
unsere „Entwicklung“ aufgewachsen sind. Und sie führen ein
glückliches Leben.
Ich habe das Gefühl,
dass Menschen mit weniger Besitztümern und weniger Smartphones, auf
die sie starren können, die Kunst der Freude besser drauf haben als
reiche Menschen. Es ist auch ein Klischee, das aber zu stimmen
scheint. Auf dem Seminar habe ich noch anderen Freiwilligen
gesprochen, die dieselben Erfahrungen gemacht haben: Ärmere Menschen
sind oft so viel positiver als wir. Selbst wenn sie krank sind, viele
Freunde und Familienmitglieder verloren und keine Zukunft haben,
lächeln sie jeden Tag und sind freundlich zu dir.
Selbstverständlich
gilt das nicht für alle Menschen. Ich habe das nur bei der Mehrzahl
so erlebt. Und aus diesem Blickwinkel betrachte ich die Menschen hier
auf jeden Fall als die reicheren Menschen, die uns sehr viel
beibringen können.
Die Gefahr bei der
sogenannten „Entwicklungsarbeit“ ist auch, dass man Menschen
einredet, dass sie etwas brauchen und somit ein Problem kreiert.
Vielleicht sollte man lieber warten und zuhören und schauen, ob
jemand auf einen zukommt und sagt: „Hey, ich habe ein Problem.
Kannst du mir helfen?“
Es ist klar, dass
solche Wünsche wie „Ich will einen Fernseher“ nicht gelten. Sie
sind mal wieder nur das Ergebnis unserer falschen
„Entwicklung“svorstellung, die wir mitgebracht haben. Zudem
sollte man, wie ich finde, keine sofortigen Lösungen offenbaren,
sondern mit den Menschen zusammen darüber nachdenken, wie man das
Problem angehen kann. Sonst erwarten sie irgendwann einfach nur noch,
dass jemand kommt und alles richtet und denken nicht mehr selbst
konstruktiv nach.
„Entwicklungsarbeit“
ist deswegen auch schwierig, weil die Hilfe, die zuerst sinnvoll
erscheint, es vielleicht gar nicht ist. Siehst du ein hungriges Kind,
möchtest du ihm gerne etwas zu Essen geben. Doch dann kommt es jeden
Tag, und das Problem ist noch immer nicht gelöst.
Man muss tiefer
graben und sich fragen: warum? Warum hat das Kind Hunger? Das kann
viele Gründe haben. Entweder es ist ein Waise, oder die Eltern sind
krank/nicht ausgebildet/wohnen zu weit weg, deswegen können sie
nicht arbeiten gehen, oder ein Elternteil nimmt das ganze Essen an
sich und gibt nichts ab, oder, oder, oder. Und wenn man die nächste
Antwort hat, verlangt sie nach einem weiteren Warum. Das geht
so lange weiter, bis man alle Probleme aufgerollt hat, sie offen
daliegen und man sie an den Wurzeln packen kann, sodass sie eine
Kettenreaktion auslösen und vieles gleichzeitig verbessern.
Die Arbeit gegen
Armut/Krankheit/eingefahrene Strukturen/ect. ist immer komplex und
niemals so einfach, wie sie in den Medien dargestellt wird. Als
Beispiel eine Plakatwerbung für ein Spendenprojekt: Da ist eine
weiße Hand zu sehen, die einem ausgehungerten, schwarzen Kind Brot
reicht.
Das löst das
Problem nicht. Es ist nicht so einfach. Wenn es so einfach wäre,
dann gäbe es Hunger, Gewalt und Krankheiten ganz sicher nicht mehr.
Komplexe Probleme
verlangen komplexe Lösungen.
WIE FÜHLE ICH MICH ALS HELLHÄUTIGE FRAU IN SÜDAFRIKA?
Es gibt negative und
„positive“ Erfahrungen, die ich mit meiner Hautfarbe gemacht
habe. Und dann sind da noch die Erfahrungen, die ich nicht so recht
bewerten kann.
Zu den negativen
Erfahrungen gehören Vorurteile/Stereotype, grobe Anmachsprüche,
falsche Freundlichkeit (wahrscheinlich besser als echter Hass, der ja
vielen Ausländern/Flüchtlingen in Deutschland begegnet),
aufdringliches Betteln und absichtlich erhöhte Preise.
Zu den „positiven“
Erfahrungen, die aber gleichzeitig eigentlich negativ sind, sind
Bevorzugung der Weißen in Schlangen, in der Gastfreundschaft und in
sonstigen Alltagssituationen (von dunkelhäutigen Menschen aus). Ich
weiß gar nicht so recht, warum. Ich denke, in vielen Regionen gelten
Weiße einfach als exotische Andere, denen man mit großem Respekt
entgegentritt. Ich weiß nie, wie ich darauf reagieren soll. Mit
Dankbarkeit, die sich absolut falsch anfühlt, oder mit Traurigkeit,
oder sogar Wut. Es zeigt eben, dass der Gedanke, dass alle gleich
sind, noch immer nicht richtig eingelebt ist und dass die Apartheid
tiefe Spuren hinterlassen hat, die nicht einfach so verschwinden.
Die letzten
Erfahrungen, die mich einfach nur ein bisschen befremden, an die ich
mich aber inzwischen gewöhnt habe, sind die Verhaltensweisen der
Kinder gegenüber uns. Erst einmal verwechseln siebzig Prozent der
Kinder Pia und mich immer noch, obwohl wir sie schon schon seit einem
halben Jahr fast täglich sehen. Dann wird ohne Ende mit unseren
Haaren gespielt (was aber angenehm ist :D) und hin und wieder
streichen sie über unsere Haut, als wären wir irgendein Denkmal.
Diese Bewunderung ist natürlich süß, aber gleichzeitig auch
komisch. Ich bin ständig hin- und hergerissen zwischen dem
Bedürfnis, als Person und nicht als Zootier wahrgenommen zu werden
und dem Verständnis für die Situation der Kinder. Es ist ja klar,
dass Andersheit faszinierend ist.
Das war es auch
„schon“ mit Teil 1. Ich hoffe, ich habe dich zum
Nachdenken angeregt. Es war wirklich schwer, diese Gedanken in Worte
zu fassen und ich möchte noch einmal betonen, dass das alles
meine Sicht der Dinge ist und nicht als universal geltend aufzufassen
ist.
Kommentare sind sehr
willkommen :]
Teil
2
Meine
Zeit in Johannesburg & Pretoria
Wie
ich schon angekündigt habe, bin ich für eine kurze Zeit nach
Johannesburg gereist, um dann weiter zu meinem Seminar zu fahren. Es
war ziemlich strange, wieder in einer Großstadt zu sein. Ich konnte
einfach nicht aufhören, die hohen Gebäude anzustarren und mich über
die Auswahl an Produkten zu wundern. Und dann der Verkehr! So viele
Autos! So viele Busse! So viele Taxis!
Auf der Hinfahrt war es sehr nebelig |
Und
doch ist Johannesburg nicht zu vergleichen mit Köln. Es ist
irgendwie anders. Die Menschen sind anders, das Verkehrssystem ist
anders, die Häuser sehen anders aus und natürlich auch die Läden.
Als wir die Einkaufsmeilen besucht haben (Jesus, gab's da viel zu
kaufen!), sind uns überall extrem aufgestylte Menschen begegnet. Das
erlebe ich natürlich nicht an der Küste, aber das habe ich auch
vorher in Köln nicht gesehen. Außerdem betteln die Menschen fast an
allen Ampeln, wenn die Fahrer ihr Auto anhalten müssen.
Pia
und ich durften im Apartment eines sehr netten Bekannten wohnen, der
aber leider nicht da war, weil er arbeiten musste. Es liegt in
Illovo, einem Viertel in Johannesburg und ist ziemlich zentral. Am
ersten Abend sind wir in einem Restaurant essen gegangen – Himmel,
war das komisch! Es gab Servierten, eine große Auswahl an super
leckeren Gerichten und in meinem Salat waren Avocado und Mozarella.
<3 Wir mussten weder kochen, noch nachher abwaschen. Seltsam. :D
Dann
hatten wir einen funktionierenden Kühlschrank! Und einen Ofen!
Und heiße Duschen! (Ich habe trotzdem aus Gewohnheit kalt geduscht
xD). Wenn wir auf Toilette mussten, mussten wir nicht erst aus der
Hütte raus in die kalte (und vielleicht regnerische Nacht) und wenn
wir kochen wollten, konnten wir danach das Essen einfach in ein
richtiges Wohnzimmer tragen. Es war traumhaft.
Am
letzten Tag in Johannesburg haben wir auch das Apartdheid-Musuem
besucht. Das kann ich nur empfehlen. Es ist zwar sehr umfassend und
man sollte mindestens 4 Stunden Zeit einplanen, aber es hat sich
definitiv gelohnt.
Auf
dem Hinweg nach Johannesburg sind wir übrigens mit einem Bus
gefahren, und das 14 Stunden lang. Es waren 12 Stunden geplant, aber
wir haben ein Pferd umgefahren, was die Windschutzscheibe zerstörte
und weswegen wir zwei Stunden auf einen neuen Bus warten mussten. Ich
habe Fotos von der Scheibe gemacht, sie sieht schon episch aus.
Aber
sieh selbst:
Unser geniales Essen! |
Eine Drachenfrucht. In Wirklichkeit war sie viel pinker! |
Die epische Windschutzscheibe nach dem Pferdvorfall. |
Ich finde, das Bild sieht irgendwie mystisch aus. Die Tankstelle spiegelt sich im zerbrochenen Glas, uuuh. :] |
Morgens auf dem Weg nach Johannesburg. |
Senton Mall |
Ein Schild aus der Apartheid, was ich für sehr aussagekräftig halte. |
Nach der kurzen Zeit in Johannesburg ging es dann noch nach Pretoria. Wir haben dafür den "Gautrain" benutzt, der noch ziemlich neu ist und extrem sicher & sauber. Da ist die deutsche U-Bahn das krasse Gegenteil. Überall latschen Security-Leute herum, man braucht erst einmal eine Karte, um in den Bereich hineinzugelangen und als Pia beim Warten auf die Bahn einen Apfel essen wollte, wurde sie darauf hingewiesen, dass das nicht erlaubt sei.
Von "Rosebank" aus sind wir losgefahren. |
Das Seminar war echt nett. Freundliche Menschen und ein interessantes Programm, allerdings war es eine katholische Organisation, mit der wir zusammengesteckt wurden, weil wir die einzigen Freiwilligen des DRKs in Südafrika sind und da ich absolut nicht gläubig bin, waren die Gebete, Gottesdienste und Segen ein bisschen befremdlich für mich. Nichtsdestotrotz war es eine schöne Zeit. Ich fand vor allem den Besuch in einem riesigen Tierpark spannend. Ich habe die Tiere teilweise hautnah erlebt - Zebras, Antilopen mitten auf der Straße, Nashörner, die langsam und groß hinter unserem Auto hertrotten, Hippos im Wasser, bunte Vögel, Schildkröten, Giraffen (leider in weiter Ferne), Büffel und Warzenschweine (die dazu anregen, hakuuuuna matataaaa zu singen). Am Ende haben wir sogar drei Elefanten beim Baden zugesehen.
Unglücklicherweise habe ich das Übertragungskabel für meine Kamera in Pretoria vergessen, weshalb ich euch nicht mit Fotos von dort versorgen kann - hoffentlich vorerst. Ich muss natürlich irgendeine Lösung finden.
Bis dahin aber erst einmal bye bye! Meine Eltern kommen mich jetzt besuchen und dann geht's auf nach Capetown! Wenn ich das nächste Mal schreibe, habe ich sicher einiges an Gesprächsstoff gesammelt.
Alles Liebe!
Bis dahin aber erst einmal bye bye! Meine Eltern kommen mich jetzt besuchen und dann geht's auf nach Capetown! Wenn ich das nächste Mal schreibe, habe ich sicher einiges an Gesprächsstoff gesammelt.
Alles Liebe!
♦Dein
Julchen♦